Was bringt den Menschen eigentlich dazu, verantwortungsbewusst zu Handeln und sich für seine Mitmenschen einzusetzen? Und wie weit sollte diese Verantwortung reichen? – Etwa bis in den äquatorialen Pazifik?
Die globale Erwärmung bedroht unseren Planeten und damit das Wohlergehen der Menschen. Das wirft entscheidende Fragen der Ethik und des moralischen Handelns auf. In einer Zeit in der sich Grenzen durch mediale Vernetzung immer mehr auflösen, fällt es schwer, solche Fragen zu beantworten. Wem oder was gegenüber sind wir verantwortlich? Laut der Geschichte des Barmherzigen Samariters aus dem Lukasevangelium ist unser „Nächste“jener, der uns in einer misslichen Lage begegnet und unsere Hilfe benötigt. Sind unsere Nächsten also auch die Bewohner jener kleinen Insel im Pazifik, deren Land schon heute unter den schweren Folgen des von uns verursachten Klimawandels leidet?
Spätestens seit dem Klimagipfel in Bonn, der zum ersten Mal von Fidschi ausgerichtet wurde und damit den Pazifischen Inseln große Aufmerksamkeit zukam, gibt es ein neues „Lieblings-Warnsymbol“ in der Klimawandeldebatte: Kiribati – gerne präsentiert als „das untergehende Inselparadies“, „the first nation to drown“ oder „Titanic island“. Auch außerhalb des Gipfels ist die Geschichte der sinkenden Pazifikinsel unter Journalisten und Fernsehteams beliebt geworden. Gemeint ist ein winzig kleiner Inselstaat im Südpazifik, der durch seine geographische Lage in besonderem Maße von den Folgen des Klimawandels bedroht ist. Seine 33 Atolle ragen im Schnitt nur ein bis zwei Meter über den Meeresspiegel hinaus. Ob die Prognosen stimmen und die kleinen Landflächen in 30 bis 50 Jahren durch den Anstieg des Meeresspiegels im Ozean versinken werden, weiß heute noch keiner mit letzter Sicherheit.
Doch was zählt, ist für uns die Geschichte der Menschen einer untergehenden Insel. Um diese zu begreifen reicht vermeintlich eine kurze Schlagzeile aus. "Titanic Island" visualisiert den Klimawandel für uns in einem dramatischen Untergangsszenario. Fotos und Reportagen über Kiribati sollen uns das Ausmaß des Klimawandels bewusst machen und dazu drängen sich für den Umweltschutz einzusetzen. Es ist der Versuch, einem unfassbaren Phänomen Gestalt zu geben, es greifbar zu machen. Durch die Art und Weise, der medialen Berichterstattung, wird der Eindruck suggeriert, das Monsterwesen des Klimawandels stünde schon direkt vor unserer Haustür. Aber bringt uns dieses Monster wirklich zum Handeln oder lähmt uns seine Gegenwart? Was bringt uns wirklich zum Handeln?
Wirklich verantwortlich fühlen wir uns nur, wenn wir mit den direkten Folgen rechnen müssen, sollte unser Handeln den normativen Regeln widersprechen. Wenn wir zum Beispiel zu spät zu einer Verabredung mit Freunden kommen, würden uns diese für unsere Verspätung tadeln. Genauso könnte man jemanden dafür tadeln, dass er mit dem Flugzeug in die Ferien nach Bali fliegt, obwohl durch das gute Wetter auch in Deutschland ein hervorragender Strandurlaub möglich gewesen wäre. Doch das Flugzeug würde auch ohne den einen verantwortlich Handelnden abheben. Es ist also nicht seine alleinige Verantwortung, wenn hochzentrierte Co2-Abgase der Flugmaschine die Umwelt belasten. Oft fragen wir uns, was wir als einzelner Mensch mit unseren winzigen Taten einer so großen Herausforderung, wie dem Klimawandel, entgegensetzen könnten. Und überhaupt, wer käme durch mein Handeln zu Schaden? Eine sich daraus entwickelnde„Nach-mir-die-Sintflut“– Mentalität scheint angesichts der katastrophalen Konsequenzen des Klimawandels allerdings unbefriedigend.
Genau wie die Umwelt sich verändert, unterliegt auch der Begriff der Verantwortung einem modernen Wandel. Hans Jonas ist mit seiner Arbeit „Prinzip Verantwortung“ zum Vordenker moderner Naturethik und zum Vater dieser neuen Ökologiebewegung geworden. Seine Idee der Verantwortung entsteht auf der selben Idee, wofür auch die Geschichte von Kiribati im kleinen Rahmen steht:
"Das Wesen menschlichen Handels hat sich völlig geändert. Erstmals in der Geschichte kann die Menschheit sich selbst und die ganze Erde vernichten."
Jonas bezieht in seinen Überlegungen die außermenschliche Natur mit ein und spricht ihr einen Eigenwert zu. Gleichzeitig ist sie aber dem Menschen gegenüber schwach und verletzlich. Die gefährdete und verletzliche Natur hat laut Jonas einen Anspruch gegenüber dem Mächtigen. Sie nimmt diese in die Pflicht. Wenn es bisher das Mächtige und Überzeitliche war (Gott, Herrscher, Gesetz), das die Untertanen verpflichtet und zwang sich zu rechtfertigen, so wird nunmehr das Vergängliche, Zerbrechliche und Schwache zur Rechtfertigungsinstanz, vor der sich die Mächtigen zu verantworten haben.
Der Mensch wird immer mächtiger und trägt gleichzeitig auch immer mehr Verantwortung. Nie zuvor waren wir durch die Medien mit so vielen Geschehnissen und Problemen auf der Welt direkt konfrontiert. Die Flut an Informationen, die uns mit den scheinbar unlösbaren Problemen und Konflikten in dieser Welt konfrontieren, lassen wenig Lust aufkommen Verantwortung zu übernehmen. Ist unser Tun nicht von vorn herein zum Scheitern verurteilt?
Medienberichte wie die von Kiribati, können uns dabei helfen, Nähe und Mitgefühl für das „Unfassbare“ zu finden und somit unser Bewusstsein über den Klimawandel zu bestärken. Doch laufen wir dabei auch Gefahr, in der Masse der Schreckensgeschichten rund um den Klimawandel, zu ersticken.
Um das zu verhindern sollte "Verantwortung-Übernehmen" als einzigartige Fähigkeit erkannt werden, die uns nicht lähmen soll, sondern uns motiviert, in unserem jeweiligen Lebensraum kleine Schritte eines neuen Umgangs mit Natur und Umwelt zu wagen gemäß der alten afrikanischen Weisheit „viele kleine Leute in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“
Ein starker Satz – zur Begrüßung des Monsters an der Tür!
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