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AutorenbildAnne Paulsen

Die Salomonen und der Plastikozean Wie geht man hier mit dem Klimawandel um?


Die Solomon Islands sind bekannt für ihre einzigartige Unterwasserwelt, die vielerorts Menschen zum Schnorchel und Tauchen anlockt. Entlang der Küste Guadalcanals, der Hauptinsel der Solomon Islands, stößt man als Taucher jedoch immer seltener auf ein fröhlich buntes Unterwasserleben. Die Korallen sind braun bis grau und wirken abgestorben. Dafür kann man beim Schnorcheln nun buntes Plastik, in allen Farben und Formen bewundern.


Rund um Guadalcanal ist die Verunreinigung der Umwelt durch menschliche Abfälle groß und deutlich erkennbar. Die schlimmsten Ausmaße des Plastikdesasters kann unser menschliches Auge jedoch gar nicht wahrnehmen. Der Verbleib von 99 Prozent des Plastikmülls in den Weltmeeren ist laut Forschern ungeklärt. Irgendwo zwischen Nordamerika und Asien befindet sich die weltweit größte Plastikinsel. Der Great Pacific Garbage Patch erstreckt sich über ein Gebiet des Nordpazifikwirbels, das so groß ist wie Texas. Hier sammeln sich große Plastikteile, wie zum Beispiel Fischernetze an und werden durch Salzwasser, Wellen und Sonneneinstrahlung in kleinste Teile zersetzt.


Mikroplastik bedeckt 88 Prozent der weltweiten Meeresoberflächen und wahrscheinlich befindet sich noch mehr davon in der Tiefsee. Dadurch stirbt die Unterwasserwelt aus und Korallen sind so wie auf Guadalcanal beim Schnorcheln plötzlich vom grauen Meeresboden nicht mehr zu unterscheiden. Mikroplastik gelangt außerdem in die Mägen von Fischen und ist somit Teil unserer Nahrungskette. Es ist bereits in unserem Trinkwasser, im Regen, im Schnee der Arktis, in der Luft, die wir einatmen und somit in allen natürlichen Kreisläufen der Erde angelangt.


Die Verunreinigung der Weltmeere treibt den Klimawandel voran. Zu den Folgen gehören unter anderem der Anstieg des Meeresspiegels, sowie das vermehrte Aufkommen von Extremwettersituationen. Die Pazifikinseln sind diesen Problem gegenüber am meisten verwundbar und können sich oft am wenigsten wehren.

Gleichzeitig ist die Umweltverschmutzung in Inselstaaten wie den Solomon Islands extrem hoch. In der Pazifikhauptstadt Honiara tummeln sich die Plastikabfälle an den Straßenrändern und werden durch Regenwasser, das in den Straßengräben zu kleinen Bächen wird, Richtung Küste befördert. Selbst auf dem offenen Meer, etwa 70km von der Küste Guadalcanals entfernt, tauchen immer wieder bunte Plastikteile im tiefblauen Wasser auf.


Warum scheinen sich die Menschen, deren Leben am meisten von den Folgen des Klimawandels bedroht sind, überhaupt nicht um ihre Umwelt zu kümmern?

Es scheint völlig widersprüchlich, dass den Inselbewohnern, die doch so eng mit der Natur in Verbindung leben, Umweltschutz völlig egal zu sein scheint. Vor ein paar Tagen beobachtete ich wie eine Frau mit einer großen Plastiktasche ins Wasser watete und einzelne Teile, zum Beispiel benutzte Windeln, herauszog und diese ins offene Meer warf.


Ich sehe solche Dinge hier fast täglich und frage mich dabei: Warum? Tut sie das wirklich, weil sie sich nicht kümmert? Ist es Unwissen? Ist es Ärger, Faulheit, oder einfach Nicht-Nachdenken?


Verantwortungslosigkeiten wie diese passieren überall auf der Welt. In Deutschland fallen mir zum Beispiel sofort die McDonalds Tüten am Rand der Autobahnen ein und ich frage mich, wie einige Menschen selbst heute noch so achtlos sein können. Man kann diese Fragen also ganz allgemein stellen. Mich interessiert aber vor allem der Umgang der Solomon Islander mit dem Thema Umweltschutz, zumal es zwischen ihrer gefährdeten Lage und ihrem Handeln offensichtlich zu großen Widersprüchen kommt.


Es mag der Eindruck entstanden sein, dass Umweltschutz und Klimawandel in den Solomon Islands nicht thematisiert werden. - Ganz im Gegenteil: Man hört im Radio viel darüber und findet täglich mindestens zwei Zeitungsartikel zur Klimawandel Debatte. Die Stadt hat zahlreiche Ministerien, zum Beispiel das Ministry of developement, oder das Ministry of environment and sustainablility, die rundum damit beschäftigt sind Pläne und sogenannte Strategies für den Umweltschutz zu erstellen. Doch von der Umsetzung sind sie oft weit entfernt.

2017 wurde ein 500 Seiten umfassendes Gesetzbuch herausgegeben, das unter anderem ausführlich definiert, was ein Naturschutzgebiet in den Solomon Islands ist. Praktisch existiert auf den Inseln allerdings erst ein funktionierendes Naturschutzgebiet.

Geredet wird auf den Solomon Islands allgemein viel und gerne. Auf „Tok-Pijin“ heißt reden „to story“, auf Deutsch könnte man sagen: „Geschichten austauschen“. „Story“ bedeutet mehr als nur Reden und hat kulturell einen besonderen Wert. Es ist verpflichtend für jede Vereinbarung, jede politische Debatte, oder jeglichen Versuch der Entscheidungsfindung. Zu einer praktischen Lösung führt es jedoch nicht unbedingt.

Der Umsetzung von Plänen steht nicht nur langes Gerede, sondern auch ein undurchschaubares Beziehungsnetzwerk der Regierenden im Wege. Durch die Planung eines Naturschutzgebietes könnte zum Beispiel die Beziehung zu einem wichtigen Förderer und Geldgeber auf dem Spiel stehen, weil dieser im betroffenen Gebiet Logging betreibt. So, oder ähnlich lässt sich vermutlich das fragliche Handeln, oder Nicht-Handeln der Regierung in einigen Fällen erklären. Ein aktuelles Beispiel für das Versagen der Regierung ist der Fall Rennel Island, über den ich bereits auf meinem Blog berichtet habe. Einen ganzen Monat hat es gedauert um den Ölauslauf des gestrandeten Containerschiffs zu stoppen. Letztendlich gelang es nur durch das Eingreifen Australiens.

Umweltpolitik ist in jedem Land optimierbar und ein fortwährender Prozess. Deutschland gehört mitunter zu den Vorreitern in diesem Bereich. Umweltschutz fängt bei uns mit den einfachsten Dingen an, wie zum Beispiel einer funktionierenden Mülltrennung und Müllentsorgung. In Honiara wäre das gar nicht möglich. Insgesamt zähle ich entlang der 5 km langen Hauptstraße der Innenstadt nur drei Mülltonnen, die stets überlaufen sind. Die Müllabfuhr kommt wann sie kommt und das ist offensichtlich nicht oft genug.

Familien kehren ihren Müll teilweise auf große Haufen zusammen und verbrennen Bio, Papier und Plastik gemeinsam in ihrem Vorgarten. Das ist alles andere als eine umweltfreundliche Lösung. Aber was tun, wenn die Strategien der Regierung versagen?

Wohin mit all dem importierten Plastikmüll? Aufgrund des tropischen Klimas und der langen Transportwege, sind alle importierten Lebensmittel oft doppelt und dreifach in Plastik eingeschweißt und umhüllt. Im chinesischen Supermarkt vor Ort kommt dann noch eine extra Umhüllung in Form einer Plastiktüte hinzu. Warum plötzlich das wieder verbannt werden sollte, was erst von außen in das Land eingeführt wurde, ist für die Einwohner der Salomonen verständlicherweise eine verwirrende Frage. Dies nachzuvollziehen und sich für Umweltschutz einzusetzen kostet die Menschen Verständnis und Kraft, die sie in ihrer Situation oftmals nicht aufbringen können. 70 Prozent der Bevölkerung sind in Honiara arbeitslos. Diejenigen, die einen Job haben, verdienen umgerechnet 10 Cent pro Stunde. Viele Menschen können sich für ihr Haus keinen Strom leisten und haben kein fließendes Wasser. Dazu kommen gesundheitliche Probleme, wie eine hohe Anzahl von Malaria-Erkrankungen. Grundbedürfnisse sind bei vielen Menschen nicht abgedeckt.

Es ist ein Zusammenspiel aus finanziellen, sozialen, kulturellen und politischen Problemen, welches die Solomon Islander tatenlos und scheinbar verantwortungslos gegenüber dem Klimawandel machen. Wie soll man als kleine Person mit so vielen Problemen schon gegen etwas Großes wie den Klimawandel ausrichten?

Vielleicht ging es so der Frau, die ihren Müll ins Meer warf. Vielleicht wusste sie nicht wohin mit den Windeln ihres Kindes und hatte im Haus keinen Platz und mal wieder kein fließendes Wasser. Vielleicht schämte sie sich dabei und Vielleicht wollte sie wenigstens den Müll noch vor Sonnenuntergang loswerden, damit in der Nacht die Ratten fernblieben.

Vielleicht teilen wir dieses Gefühl mit ihr. Das Gefühl gelähmt und überfordert zu sein, wenn es darum geht, sich gegen etwas so Beängstigendes wie den Klimawandel einzusetzen. Es fällt uns verdammt schwer in diesem Kampf Verantwortung zu übernehmen.

Vielleicht kann genau das unsere Stärke sein. Wenn wir dieses Gefühl teilen verstehen wir uns und wenn wir aneinander verstehen können wir gemeinsam stark sein.

Vielleicht sollten wir zusammenarbeiten anstatt uns gegenseitig verantwortlich zu machen, um den Plastikozean wieder lebendig zu machen.



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